Schlossruine und ehemaliges NVA-Gelände,
Sassnitz Dwasieden
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Ein etwas anderer Reisebericht zur Ruine vom
Schloss Dwasieden
und dem ehemaligen NVA-Gelände bei Sassnitz auf der Insel Rügen.
Dirk Trute
am
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Letzte Änderung:.
Einleitung
In den letzten Jahren hat es uns immer wieder auf die Halbinsel Jasmund, ein Teil der Insel Rügen, gezogen. Dort ist es so schön wie zu Hause, allerdings mit Meer. In der Wanderkarte zur Insel entdeckte ich südöstlich von Sassnitz ein Gelände, das mit “Kurgebiet in Entstehung“ beschriftet ist. Die Karte ist relativ aktuell, zumindest was das Druckdatum betrifft.
Auch in meiner Heimat gibt es solche Gebiete, meist ehemalige FDGB - Erholungsheime, davor ein großflächiges Baustellenschild und dahinter vor sich hin verfallende Ruinen. Da wir das erste Mal ganz offline auf der Insel waren, konnte ich weiter nichts in Erfahrung bringen. Im Veranstaltungskalender der Stadt Sassnitz entdeckte ich, dass Führungen in dieses Gebiet zum Schloss Dwasieden angeboten wurden. Nun wurde es interessant und wir unternahmen eine Expedition dorthin, allerdings ohne Führung.
NVA-Gelände Sassnitz Dwasieden
Beim Gelände in Dwasieden handelt es sich um ein ehemaliges Militärgelände der Volksmarine. Man kann es in Sassnitz von der Straße der Jugend oder der Schlossallee erreichen. Ein “verbotener“ Wanderweg führt von Alt-Mukran nach Dwasieden.
Als wir das erste Mal dort waren, hingen an verbogenen Toren noch Schilder mit der Aufschrift “Betreten verboten – Lebensgefahr“. Zumindest am Zugang von der Straße der Jugend. Diese sind mittlerweile verschwunden. Etwas weiter, Richtung Hafen, führt eine monströse Holzbrücke in das ehemalige Militärgelde. Die Brücke selbst ist Rätselhaft. Sie scheint aus der Vorinternetzeit zu stammen, da ich nichts in Erfahrung bringen konnte. Vermutlich ein Projekt zur sinnvollen Anlage von Steuergeldern aus dem Anfang der 90er-Jahre. (Für Informationen bin ich dankbar). Bei Regenwetter ist das Überqueren der Brücke ein Abenteuer.
Das Gelände ist eine Mischung aus weitestgehend unberührter, da ungepflegter Natur, Ruinen und Müll. Es ist sehr still. Der Buchenwald schluckt den Verkehrslärm, es mischen sich die Geräusche des Waldes mit denen des Meeres, da das Gebiet unmittelbar an einem Steilküstenabschnitt Namens “Klocker Ufer“ liegt. Weitestgehend ist noch eine Umzäunung aus Streckmetall vorhanden, wie es auch für den “antiimperialistischen Schutzwall“ Verwendung fand. Da innerhalb der Anlage weitere Zäune mit Kontrollposten vorhanden sind, schloss ich auf mehrere Abteilungen oder unterschiedliche Nutzungsbereiche. Recherchen im Internet (Bundesarchiv) lieferten mir, dass sich hier vor der Schließung Anfang der 90er Jahre das Marinepionierbataillon 18 "Karl Kittelmann“, das Ingenieurbaubataillon 18 und die Kompanie chemische Abwehr 18 stationiert waren.
Auf dem Areal sind verschiedene kleine Baracken verstreut. Neben den kleineren Gebäuden ist auch ein größerer Werkstattkomplex vorhanden. Da überall junge Bäume wachsen, ist kein Überblick möglich. Man weiß nicht, was sich hinter der nächsten Biegung der schmalen Betonstraße befindet die das Gelände durchzieht. Dies macht die Sache etwas spannend.
Die ganze Szenerie erinnerte mich an den Film Stalker von Andrei Tarkowski. Der Film spielt in einer Zone in der die Menschen verschwunden sind und die Natur den Raum zurück gewonnen hat. Wie im Film befindet man sich zwischen verstreuten Resten menschlicher Zivilisation, die sich in fortschreitendem Verfall befinden. Das Gute daran ist, dass die Zerstörungen der Anlage nicht durch militärische Einwirkung erfolgte, auch nicht durch die Einwirkung eines nicht zu definierenden Ereignisses wie im Film, sondern durch den Zahn der Zeit, unterstützt von einer Horde Vandalen. Holz und Tapeten verfaulen, Frost zersprengt Ziegelsteine und Moose und Flechten überwuchern den Beton. Zwischen vermoderndem Laub auf dem Waldboden liegen diverse Hinterlassenschaften. Größere Mengen der Plastikinnenleben von NVA-Stahlhelmen, ein Kamm, ebenfalls aus Kunststoff, ohne Zinken, aber noch mit EVP, der Deckel einer Mondos-Dose. Die letzten beiden Fundstücke waren unentbehrliches Landgangzubehör.
Bei den Gebäuden handelt es sich um Architektur mit standardisierten Bauteilen, wie sie auch in Betrieben anzutreffen war (ist). Die Funktion der Gebäude ist teilweise noch erkennbar. Ein Heizhaus. Der Schornstein ist weithin sichtbar. Reste einer Fernheiztrasse. Die Rohre wurden größtenteils gestohlen. Eine Kantine mit den typischen 70er-Jahre Fliesen, Waschräume, Unterkünfte. Der Verfallszustand der Gebäude ist unterschiedlich. Was nicht professionell entkernt wurde, ist zerschlagen. Eine Plattenbausiedlung ist ganz in der Nähe.
Es gibt auch noch einige kleinere oberirdische Bunker. Diese dienten als Munitions- und Sprengstofflager. 1986 erignete sicht dort eine schwerer Unfall. Heute beherbergen sie vermutlich Sondermüll. Kleine gelbe Eimer, die man hier mal nebenbei entsorgt hat. In der Werkhalle liegen ein paar Tonnen KMF (Künstliche Mineralfasern), die nicht von der Decke gefallen sind. Wie in der Zone im Film Stalker gibt es auch hier Gefahren, wenn auch andere. Die Schachtdeckel der Kanalisation wurden überwiegend gestohlen, Dächer sind einsturzgefährdet, es soll unterirdische Heizöltanklager und wassergefüllte Keller geben, im Wald etwas Stacheldraht und viele Glasscherben.
Schätze beherbergt diese Zone wohl keine mehr, abgesehen von mehreren Geocaches. Was es zu finden gibt, ist die Stimmung eines verlassenen Ortes.
Marstall
Als wir das erste Mal in Dwasieden waren, unvorbereitet und ohne Internetanbindung, dafür mit Kinderwagen, fanden wir nur den zum Schloss gehörenden Marstall. Das Gebäude soll zu Zeiten der Volksmarine Büros und auch die Arrestzellen des Objekts beherbergt haben. Das Gebäudeinnere ist vollständig ausgebrannt. Es steht nur noch die aufwändig gestalteten Putzfassade.
Ruine Schloss Dwasieden
Ein Trampelpfad führt entlang des Marstalls zur eigentlichen Schlossruine. Es war kein richtiges Schloss, mehr ein Herrenhaus. Die Überreste befinden sich in Küstennähe, wenn auch nicht so dicht wie auf dem historischen Grundriss bei Wikipedia eingezeichnet.
Vom eigentlichen Gebäude ist wenig erhalten geblieben. Es sind noch Reste der beiden Seitenflügel, jeweils mit Unterkellerung und einigen Elementen der ehemals Tempelartigen Pavillons erhalten. Die Seitenflügel waren jeweils über Säulengange (Kolonaden) mit dem Hauptgebäude verbunden. Von diesem fehlt fast jede Spur. Vermutlich bestand dieses aus Ziegelsteinen die nach dem 2. Weltkrieg dringender benötigt wurden als ein herrenloses Herrenhaus.
Von der oft beschriebenen Bäderarchitektur konnte ich nichts erkennen. Die Trümmer sind klassizistisch bzw. historistisch oder beides gleichzeitig. Ganz im Stil der damaligen Zeit.
Die verwendeten Materialien sind sehr hochwertig und die polierten Oberflächen der Säulen sehen aus als wären sie erst gestern umgestürzt. Die Bodenplatten der Säulengänge haben mehr als 60 Winter überstanden. Sandsteinüberreste beherbergen Kurzgeschichten über die Schicksale derjenigen, die hier einen Teil ihrer Lebenszeit verschwenden mussten.
Abschließendes, Hinweise
Mehr Informationen zur Schlossgeschichte findet man im
Wikipedia-Artikel.
Es gibt auch ein Buch von Ralf Lindemann,
“Das weiße Schloss am Meer“ mit zugehöriger Website:
schloss-dwasieden.de.
- 1873-1875 im Auftrag von Adolph von Hansemann erbaut [7]
- 1928 Schloss im Sommer von Gerhart Hauptmann gemietet [3]
- 1928 Heirat von Benvenuto Hauptmann mit Prinzessin Elisabeth von Schaumburg-Lippe [4]
- 1934 Deutsch-Schwedische Kunstausstellung [2]
- 1934 Verkauf an die Stadt Sasssnitz [6]
- 1935 Verkauf an die Reichsmarineverwaltung Nutzung als Entfernungsmessschule [1]
- 1936 Errichtung von Kasernen im Parkgelände, Schiffsartillerieschule,
Nutzung des Schlosses als Offizierskasino [1] - 1945 Teilweise Sprengung militärischer Anlagen auf dem Gelände [1]
- 1945 Flüchtlings-, Umsiedler- und Quarantänelager [1]
- 1947 weitere Sprengungen von Gebäuden [1]
- 1948 Sprengung des Schlosses, aufgrund des SMAD-Befehls Nr. 209, als Quelle für Baumaterial [1] [7]
- 1952 Bau von Baracken und anderen Gebäuden auf dem Gelände
durch die Volkspolizei-See, später Volksmarine [5] - 1991 Schließung des Standorts der Volksmarine
- 1997 Brand im Marstall
- [ 1 ] Martin Holz, Evakuierte, Flüchtlinge und Vertriebene auf der Insel Rügen 1943-1961, Böhlau Verlag, 2003
- [ 2 ] Katalog Deutsch-schwedische Kunstausstellung, Sassnitz - Schloss Dwasieden 5. bis 20. Juli 1934, Greifswald Bamberg 1934
- [ 3 ] Walter A. Reichart, Ein Leben für Gerhardt Hauptmann, Erich Schmidt Verlag, 1991
- [ 4 ] Wilhelm Behl, Felix A. Voight, Chronik Von Gerhart Hauptmanns Leben und Schaffen, Carl Friedrich Bergstadtverlag W.G. Korn, 1993
- [ 5 ] Torsten Diedrich,Rüdiger Wenzke, Die getarnte Armee: Geschichte der Kasernierten Volkspolizei der DDR 1952-1956, Christoph Links Verlag, 2001
- [ 6 ] Holger Teschke, Rügen und Hiddensee, Hoffmann und Campe, 2011
- [ 7 ] Wikipedia
Was ich nicht in Erfahrung bringen konnte ist, wie stark der Zerstörungszustand des Schlosses bereits zum Ende des zweiten Weltkriegs war. Sassnitz ist stark bombardiert worden. Das Schloss befand sich in einem von der Wehrmacht genutzten Gelände und war damit ein potentielles Ziel. Auf Luftbildern der Royal Air Force sind, wie Perlenschnüre aufgereihte Bombenkrater auf den damals zwischen Dwasieden und Sassnitz liegenden Feldern zu erkennen. Auch innerhalb des Geländes befinden sich etliche, heute noch gut zu erkennbare, Bombenkrater und ein Soldatenfriedhof.
Für das Bild mit den beschriebenen Kratern konnte ich den Rechteinhaber bzw. das NCAP-Originalbild nicht finden. Dafür 2 Bilder vom Klocker Ufer, auf denen das Schloss zu erkennen ist.
Zum Schluss fand ich doch noch einen Schatz, zumindest einen für Nerds. Gehäuseteile eines Kaypro 2.
Es interessiert mich bloß, wie dieser dort hingelangt ist, bzw. ob dieser dort bereits zu DDR-Zeiten genutzt wurde? Leider diente der Computer wie vieles andere auch zum Abbau überschüssiger Energie.
Ich möchte hiermit darauf hinweisen, dass dieser Eintrag keine Aufforderung zur Nachahmung darstellt und das Betreten des Geländes potentiell gefährlich ist. Die Gebäude sind Einsturz- und die Küste ist Abbruchgefährdet. Und überhaupt…
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Danke für Deinen ausführlichen Bericht über Dwasieden. Zur Holzbrücke: Die Brücke wurde Anfang der 1990er Jahre als Brücke für einen behindertengerechten Zugang zum Königsstuhl angefertigt. Bei der Installation merkte man dann, dass der Höhenunterschied des Fundaments auf dem Königsstuhl allerdings fast einen Meter betrug. Für eine Rampe auf dem Königsstuhl war natürlich kein Platz. Die Brücke stand dann einige Jahre unnütz dort herum, um dann in Zweitverwendung nach Dwasieden zu gelangen....
Für mich persönlich besonders interessant ist das NCAP Foto, auf welchem Richtung Mukran eine Anlage und große Erarbeiten zu erkennen sind, die ich eigentlich in die Nachkriegszeit datiert hätte. Über diese Anlage habe ich noch nichts herausfinden können.
Das Schloss selbst wurde wohl bei den Luftangriff, wenn überhaupt nur minimal beschädigt und war bei Kriegsende in weitestgehend gutem baulichen Zustand (Quelle mündlich eigene Grossmutter). Viele Grüße aus Stralsund.
Antwort: Vielen vielen Dank! Zwischenzeitlich habe ich bereits viele nützliche Hinweise bekommen. Nur mit der Aktualisierung der Seite klappt es leider nicht immer.
...die guten alten Zeiten... war dort stationiert von 1985-1989 als Mechaniker für Funkmess- / Waffenleitanlagen ( FFK und MR302 Anlagen ) Schade, daß das Volksmarine-Gelände Sassnitz/Dwasiden so zerfällt.
Antwort:
Dank für die Bilder. Kenne die Anlage aus meiner aktiven Zeit Mai 69 - Okt. 1970. War oft in der Funkbude zur Lagemeldung (im Marstall) und am Strand.
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Hallo, ich wart ende der 80 in sassnitz dwasieden stationiert.
viele grüße
andreas
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